Das Verwaltungsgericht Berlin (VG Berlin) hat in zwei kurz aufeinanderfolgenden Verhandlungen vom 7. und 15. November 2023 zu Verfahrensfragen bei Investitionsprüfverfahren des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geurteilt. Da Gerichtsentscheidungen zu diesen nichtöffentlichen Verwaltungsverfahren – es geht um die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung – bisher sehr rar sind, werden die gerichtlichen Klarstellungen zur Rechtssicherheit für verfahrensbeteiligte Unternehmen sowie das BMWK beitragen.
Wesentliche Punkte
- In seinen Urteilen hat das VG Berlin zwei Entscheidungen des BMWK aus rein formellen Gründen gekippt, ohne dass es sich mit materiell-rechtlichen Fragen befassen musste (etwa zum Beurteilungsmaßstab des BMWK oder einzelnen Fallgruppen sicherheitsrelevanter Aktivitäten).
- Das BMWK wird künftig wahrscheinlich stärker auf eine formal-korrekte Verfahrensführung achten, um seine Entscheidungen bei Sicherheitsbedenken gegenüber Auslandsinvestitionen wirksam durchsetzen zu können.
Aus Praxissicht wäre es bedauerlich, wenn dadurch die – von allen Verfahrensbeteiligten bislang geschätzte – offene Kommunikation mit dem BMWK mitsamt kurzer Dienstwege und guter Erreichbarkeit einer deutlich formalistischeren Verwaltungspraxis weichen müsste. Denn durch die offene Kommunikation hat das BMWK die durchschnittliche Verfahrensdauer von Investitionsprüfungen deutlich reduziert und Unternehmen sowie Rechtsanwendern die Arbeit mit dem (noch jungen) deutschen Investitionsprüfungsregime erleichtert.
Die Entscheidungen des VG Berlin
Die Urteilsgründe sind noch nicht veröffentlicht. Wir stürzen uns im Folgenden auf die Presseerklärungen des VG Berlin sowie unsere Eindrücke aus der mündlichen Verhandlung.
VG 4 K 536/22: Einstellung eines Investitionsprüfverfahrens aufgrund möglicher zivilrechtlicher Mängel des Erwerbvorhabens
Die österreichische Alcmene GmbH, deren Muttergesellschaft in Guernsey ansässig ist, meldete im Juni 2021 beim (damaligen) BMWi ein Erwerbsvorhaben an, mit dem sie beabsichtigte, 37,5 % der Stimmrechte (und Geschäftsanteile) an der PCK Raffinerie GmbH von der Shell Deutschland GmbH zu erwerben. Bevor der Erwerb vollzogen wurde, übte die Rosneft Deutschland GmbH, die bereits Mitgesellschafterin der Raffinerie war (und ist), ein ihr zustehendes Vorkaufsrecht hinsichtlich der veräußerten Geschäftsanteile aus. Daraufhin erklärte Alcmene das Investitionsprüfverfahren vor dem BMWK für gegenstandslos. Als nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Rosneft die Anteile nicht erwerben konnte, meldete Alcmene das Vorhaben im Juni 2022 erneut beim BMWK an. Shell berief sich nunmehr auf ein mit Alcmene vereinbartes und inzwischen abgelaufenes „Long-Stop-Date“ und kündigte den Vertrag mit Alcmene – ein noch laufendes Schiedsgerichtsverfahren soll klären, ob die Kündigung wirksam ist. Das BMWK stellte daraufhin im Oktober 2022 das Investitionsprüfverfahren ein und begründete dies damit, dass kein Erwerb mehr vorläge. Alcmene klagte gegen die Einstellung und beantragte außerdem gerichtlich festzustellen, dass der Stimmrechtserwerb wegen Zeitablaufs als freigegeben gilt.
Das VG Berlin hat folgende Entscheidung getroffen:
- Keine Rechtsgrundlage für Einstellung. Die vom BMWK vorgenommene Einstellung sei rechtswidrig gewesen, da es für einen solchen Verwaltungsakt an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehle. Weder in der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) noch im Verwaltungsverfahrensgesetz existiere eine Grundlage, um das Prüfverfahren zu Lasten des Anmelders eines meldepflichtigen Erwerbsvorhabens durch einfache Verfahrenseinstellung zu beenden. Damit wandte das Gericht den verwaltungsrechtlichen Grundsatz, dass ein Verwaltungsverfahren, das auf Antrag eines Beteiligten eingeleitet wurde, nur mit dessen Zustimmung eingestellt werden darf, auch auf die Konstellation der bloßen Meldung eines Vorhabens an.
- Keine zivilrechtliche Wirksamkeitsprüfung durch das BMWK. Das Erwerbsvorhaben gelte als genehmigt, da nach der erneuten Meldung vom Juni 2022 die zweimonatige Eröffnungsfrist bereits Mitte August 2022 abgelaufen war. Dass der zu meldende Erwerb wegen des anhängigen zivilrechtlichen Schiedsverfahrens zum Long-Stop-Date noch unsicher war, sei dabei unschädlich, da das BMWK nicht zu beurteilen habe, ob ein Erwerb zivilrechtlich wirksam sei, solange das Vorhaben nicht offenkundig gescheitert ist.
VG 4 K 253/22: Untersagung eines Erwerbs trotz abgelaufener Eröffnungsfrist
Bereits im Jahr 2019 erwarb der chinesische Aeonmed-Konzern den Medizinproduktehersteller Heyer Medical AG und beantragte Anfang Juli 2020 beim damaligen BMWi die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung (Antrag auf UB). Nachdem das BMWK bereits im April 2020 durch einen Online-Artikel auf den Erwerb aufmerksam geworden war, eröffnete es im August 2020 ein Investitionsprüfverfahren und untersagte den Erwerb im April 2022.
Das VG Berlin hat folgende Entscheidung getroffen:
- Keine Anhörung erfolgt. Die Untersagung des Erwerbs sei bereits deswegen rechtwidrig gewesen, weil eine ordnungsgemäße Anhörung zu zahlreichen während des Verfahrens ermittelten Tatsachen nicht erfolgt war (ein Fehler, der auch nicht im Gerichtsverfahren geheilt worden sei).
- Kein Verzicht auf laufende Eröffnungsfrist durch Antrag auf UB. Das Investitionsprüfverfahren sei außerdem zu spät eröffnet worden. Nach deutschem Recht beginnt die (nach damals geltendem Recht drei- und heute zweimonatige) Eröffnungsfrist bereits mit Kenntnis vom Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags über den Erwerb. Da an das Kriterium der Kenntniserlangung keine hohen Anforderungen gestellt werden, genügte hier bereits das Lesen des Online-Artikels im April 2020. Daher sei die Eröffnungsfrist bereits Mitte Juli 2020 verstrichen und eine Verfahrenseröffnung (und Untersagung) danach unmöglich geworden (Freigabefiktion bei Fristablauf). Auch der spätere Antrag auf UB im Juli 2020 ändere daran nichts, weil sich die Fristen zur Verfahrenseröffnung ab Kenntnis und zur Verfahrenseröffnung nach einem Antrag auf UB mangels ausdrücklicher Regelung unabhängig voneinander verhielten. Die im Rahmen des gemeldeten Verfahrens erfolgte (verspätete) Eröffnungsmitteilung könne auch nicht in Bestandskraft erwachsen, da sie eine nicht selbstständige Verfahrenshandlung darstelle, deren Rechtmäßigkeit erst mit der letzten Behördenentscheidung überprüft werden könne.
Ausblick
Das VG Berlin hat im ersten Fall die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sowie die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Gegen das zweite Urteil kann der Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden. Ob das BMWK in Berufung oder Revision gehen wird, ist derzeit noch offen.
Auch wenn sich das Gericht nicht zu materiellen Fragen äußern konnte, sind die Urteile ein Schritt zu mehr Rechtssicherheit im jungen Rechtsgebiet der Investitionskontrolle. In der Praxis zeigt sich auch in anderen Fallkonstellationen (z.B. öffentliche Übernahmen), dass das Kriterium der Kenntniserlangung, nicht leicht zu handhaben ist. Es wird sich zeigen, ob und wie die Gerichtsentscheidungen im Rahmen der gesetzgeberischen Bemühungen zur Reform des Investitionskontrollrechts umgesetzt werden. Zu hoffen bleibt, dass die derzeit sehr direkte Kommunikation mit dem BMWK in Sachen Investitionsprüfverfahren erhalten bleiben wird.